Im Alltag und auch in fast jedem Beruf spielt die Stimme eine wichtige Rolle: Sei es beim Bewerbungsgespräch, beim Argumentieren in einem Meeting, beim Telefonieren mit einem Kunden oder beim Präsentieren eines Vortrags. Die Art und Weise des Sprechens ist eine Kompetenz, die besonders in Zeiten des Home-Office an Bedeutung gewinnt. Gemeint ist damit vor allem charismatische Kommunikation, die als Forschungsgegenstand immer mehr in den Fokus rückt. Bis vor einigen Jahren hat es kaum Forschung in diesem akustisch-prosodischen Bereich gegeben und somit kursieren noch viele Mythen und Ungewissheiten (Michalsky & Niebuhr 2019).
Wenn man in die Regale der Buchhandlungen schaut, entdeckt man zahlreiche Ratgeber. Mit Titeln wie beispielsweise „AUSSTRAHLUNG - Charisma entwickeln: Wie Sie Ihr Selbstbewusstsein stärken und durch Rhetorik Training & Körpersprache eine unwiderstehliche Aura erlangen“ (Lakefield 2019) wollen Autor*innen Aufmerksamkeit gewinnen und Kompetenz suggerieren. Wenn man sie jedoch inhaltlich vergleicht, fällt auf, dass sie sich teilweise massiv in ihren Aussagen unterscheiden, ja manchmal sogar widersprechen. Auch findet man viele Tipps mit den Ratschlägen, dass man authentisch und selbstbewusst sprechen soll (Redaktion redenwelt.de 2020). Doch was bedeutet das? Wie produziert man ‚authentisches‘ oder ‚selbstbewusstes‘ Sprechen?
Diesen Fragen widmet sich seit kurzem der Forschungsbereich „charismatisches Sprechen“. Dadurch entsteht ein wissenschaftlich fundierter Kenntnisstand zu dem Thema, der bislang noch nicht existierte. Mit jeder neuen Veröffentlichung auf diesem jungen akustisch-prosodischen Forschungsfeld wissen wir mehr darüber, mittels welcher greifbaren und damit erlernbaren Faktoren eine Person charismatischer klingen kann.
Doch fangen wir erstmal damit an, was Charisma eigentlich bedeutet. Wenn man Menschen danach fragt, dann denken sie meistens als erstes an Personen mit Führungs- und Überzeugungsqualitäten wie Politiker*innen, Manager*innen oder Schauspieler*innen (Jokisch et al. 2018). Der Duden definiert Charisma unter anderem als eine „besondere Ausstrahlung[skraft] eines Menschen“ (Dudenredaktion o. J.). In die Wissenschaft ist der Begriff als erstes durch den Soziologen Max Weber Anfang des 20 Jahrhunderts eingeführt worden. Er beschrieb Charisma als eine angeborene, außergewöhnliche, fast magische Gabe (Potts 2009). Im Laufe der Zeit beschäftigten sich immer mehr Disziplinen mit diesem schwer beschreibbaren Phänomen und lösten sich dabei schrittweise von Webers Idee eines kategorialen Konzepts (Niebuhr et al. 2020). Im aktuellen wissenschaftlichen Diskurs wird Charisma vor allem als eine Fähigkeit verstanden, mit der man Menschen versammeln und für sich gewinnen und gleichzeitig ihre Ziele, Handlungen und Meinungen beeinflussen kann, ohne Kontrolle, Autorität oder formale Mechanismen auf sie auszuüben (Antonakis et al. 2016). Viele dieser Aspekte finden sich in Rollen wieder, die eine Führungsposition oder -aufgabe beherbergen. Zusammengefasst stellt Charisma vor allem eine Kommunikationsform dar (Niebuhr et al. 2020).
Charismatisch empfundenes Sprechen wird über mehrere akustisch-prosodische Faktoren erzeugt, darunter die F0-Range, also den Umfang der Grundfrequenz. Im Gegensatz zum häufig angenommenen Glauben, es brauche eine besonders tiefe Stimme, klingt eine eher höhere Stimme charismatischer. Analysen von charismatischen Sprechern wie beispielsweise Barack Obama und Steve Jobs zeigen, dass diese im höheren Frequenzbereich sprechen (217Hz und 232 Hz) und damit schon in den femininen Bereich fallen (Niebuhr et al. 2016; D‘Errico et al. 2019). Dabei ist der Umfang der Stimmhöhe entscheidend. Die Sprecher*innen sprechen zwar durchschnittlich eher mit einem höheren F0 (Grundfrequenz), erreichen aber gleichzeitig an bestimmten Stellen in ihren Äußerungen Tiefpunkte in ihrer individuellen F0-Range (Mixdorff et al. 2018). Dadurch wird die F0-Baseline herabgesetzt. Diese damit entstandene stimmliche ‚Achterbahnfahrt‘ erzeugt eine Anziehungskraft, die die Zuhörer*innen mitgehen lässt.
Weitere Faktoren charismatischen Sprechens sind das Sprechtempo, die Pausenfrequenz und -dauer, die Klarheit der Artikulation sowie die Lautstärke. Ideal ist ein Tempo von fünf bis sechs Silben pro Sekunde und eine Äußerungsdauer von drei Sekunden zwischen zwei Pausen. Je klarer die Aussprache ausgeführt wird, desto charismatischer wirken die Sprecher*innen (Niebuhr & Gonzalez 2019). Eine Erklärung des Faktors Lautstärke ist komplexer – grob gesagt ist eine charistmatische Stimme noch eher laut, wird aber noch als angenehm empfunden (Niebuhr et al. 2020).
Auch deuten mehrere Studien darauf hin, dass es einen Gender Bias in der Perzeption von Charisma geben könnte. Dort zeigt sich, dass Frauen in den oben genannten Faktoren bessere Werte erzielen müssen, um bei Wahrnehmungsumfragen gleich bewertet zu werden wie Männer (Novák-Tót 2016; Niebuhr & Wrzeszcz 2018; Jokisch et al. 2018). Bei Männern hat der Inhalt ihrer Rede einen größeren Einfluss, wohingegen Frauen ‚technisch‘ besser sprechen müssen.
Zusammengefasst bedarf es im Bereich des akustischen Charismas noch viel Forschungsarbeit. Viele Variablen und Zusammenhänge sind noch ungelöst und haben nicht nur im universitären Rahmen Relevanz, sondern betreffen uns alle. Wie zu Beginn des Textes angesprochen, hat charismatische Kommunikation großen Einfluss auf fast alle unsere Lebenssituationen und sollte daher nicht das unterschwellige Mysterium bleiben, was es heutzutage noch für die meisten ist.
Referenzen
Antonakis, John & Bastardoz, Nicolas & Jacquart, Phillippe & Shamir, Boas. 2016. Charisma: An Ill-Defined and Ill-Measured Gift. Annual Review of Organizational Psychology and Organizational Behavior 3. 293–319.
D’Errico, Francesca & Niebuhr, Oliver & Poggi, Isabella. 2019. Humble Voices in Political Communication: A Speech Analysis Across Two Cultures. Proceedings of the Computational Science and Its Applications conference 2019. 361–374.
Dudenredaktion. o. J.. „Charisma“ auf Duden online. (https://www.duden.de/node/27977/revision/28006) (Zugriff am 18.12.2020.)
Jokisch, Oliver & Iaroshenko , Viktor & Maruschke , Michael & Ding, Hongwei. 2018. Influence of age, gender and sample duration on the charisma assessment of German speakers. Proceedings of Speech Prosody 2018. 224–231.
Lakefield, Victoria. 2019. AUSSTRAHLUNG - Charisma entwickeln: Wie Sie Ihr Selbstbewusstsein stärken und durch Rhetorik Training & Körpersprache eine unwiderstehliche Aura erlangen. Selbstverlag.
Michalsky, Jan & Niebuhr, Oliver. 2019. Myth busted? Challenging what we think we know about charismatic speech. AUC PHILOLOGICA 2019(2). 27–56.
Mixdorff, Hansjörg & Niebuhr, Oliver & Hönemann, Angelika. 2018. Model-based prosodic analysis of charismatic speech. Proceedings of Speech Prosody 2018. 814–818.
Niebuhr, Oliver & González, Simón. 2019. Do Sound Segments Contribute to Sounding Charismatic? Evidence from a Case Study of Steve Jobs’ and Mark Zuckerberg’s Vowel Spaces. International Journal of Acoustics and Vibrations 24(2). 343–355.
Niebuhr, Oliver & Neitsch, Jana & Michalsky, Jan. 2020. Acoustic Charisma Profiling – Towards the Digitization of Rhetoric. DEGA Akustik Journal 20(2). 7–22.
Niebuhr, Oliver & Voße, Jana & Brem, Alexander. 2016. What makes a charismatic speaker? A computer-based acoustic-prosodic analysis of Steve Jobs tone of voice. Computers in Human Behavior 64. 366–382.
Niebuhr, Oliver & Wrzeszcz, Suzanna. 2018. A woman’s gotta do what a woman’s gotta do, and a man’s gotta say what a man’s gotta say – Sex-specific differences in the production and perception of persuasive power. Proceedings of the 13th International Pragmatics Association Conference.
Novák-Tót, Eszter. 2016. Charisma and women – an investigation of the acoustic-melodic profiles of business women in the light of gender bias. Utrecht: Utrecht University. (Masterthesis.)
Potts, John. 2009. A history of charisma. Houndmills: Palgrave Macmillan.
Redaktion redenwelt.de. 2020. Charismatische Rede halten - 6 wertvolle Tipps. (https://www.redenwelt.de/rede-tipps/charismatische-rede-halten-6-tipps/) (Zugriff am 18.12.2020.)