Spezialisierte Superspezialprofile

Im Studium habe ich oft gehört, dass man sich um Berufschancen wenig Sorgen machen muss (Sprache durchdringt alles, daher qualifiziert Sprachwissenschaft quasi für alles…) Human Resources, Marketing, Projektleitung… Alles Felder in denen man nach dem Abschluss landen kann – sagten zumindest die Dozent*innen.

Obwohl ich Studieninteressierten und Studierenden nie etwas anderes raten würde als zu machen, worauf sie wirklich Lust haben, kommt der Punkt, an dem sich auch Linguist*innen um das Leben nach der Uni kümmern müssen. Vor allem wenn weiß (oder zumindest ahnt), dass es nur etwa 13 Prozent der Absolvent*innen in der Sprachwissenschaft in die Promotion schaffen (Konsortium Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2017, S. 96) und nur weitere 4 bis 13 Prozent der Promovierten in eine Professur (Krempkow 2017). Für 98 Prozent der Studierenden in den Sprach- und Kulturwissenschaften heißt das langfristig, sich nach etwas anderem umschauen zu müssen.

Nur was?

Es ist richtig, dass Sprachwissenschaftler*innen vielfältig qualifiziert sind. Aber die Berufslandschaft unserer Gesellschaft zeichnet sich durch das Gegenteil aus, nämlich durch hochgradige Spezialisierung - sowohl seitens der wissenschaftlichen Ausbildung, als auch seitens der nachgefragten beruflichen Profile. Man kann sich natürlich schon früh in der Ausbildung durch entsprechende Kurse auf Phonetik, Syntax, Lexikographie, Gebärdensprachen, etc. spezialisieren. Aber Ausschreibungen, die genau zu einer solchen Spezialisierung passen, sind außerhalb der Universität selten – und das bei etwa 20.000 Absolvent*innen (Konsortium Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2017, S. 86).

Im engeren Sinne sprachwissenschaftliche Berufe sind also tendenziell eine gute Option. Absolvent*innen stehen Journalismus, Medien, Verlage, Werbeagenturen, Contenterstellung, Erwachsenenbildung, und natürlich der klassische Lehrerberuf offen (Bundesagentur für Arbeit 2006), sofern man sich dafür früh genug entschieden hat. Denn obwohl die Länder das Lehramt immer weiter für Quereinsteiger öffnen (z. B. Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2016) gilt auch hier: Wer sich zuerst spezialisiert malt zuerst. Das gilt insbesondere für zwei der am meisten nachgefragten linguistischen Profile derzeit: Klinische Linguistik und Computerlinguistik. Hier stehen die Berufschancen derzeit zwar exzellent, aber die Spezialisierung auf diese Fächer findet sehr früh statt – nämlich bei der Einschreibung.

Daher wird die Hälfte der Linguist*innen in Dienstleistungsbereichen beschäftigt (myStipendium.de 2019), die wenig mit Sprachwissenschaft zu tun haben: Als Sales Representative (später auch Sales Manager) oder in Corporate Identity, Public Relations, Marketing, Unternehmenskultur … Doch auch hier ist die Situation nicht ganz einfach, da es bei einer Bewerbung in einer Firma immer jemanden mit MBA in HR, Marketing oder Projektmanagement gibt, dessen Ausbildung genauer zu dem passt, was gesucht wird.

Die Zahlen sind aber positiv: 99 Prozent der Absolvent*innen der Sprachwissenschaften sind auch 10 Jahre nach ihrem Abschluss beschäftigt, fangen mit €26.000,- Jahresgehalt an und sind nach fünf Berufsjahren schon bei €40.000,- (myStipendium.de 2019). Das liegt vor allem an den Softskills, die Sprachwissenschaftler*innen häufig auszeichnen: Denkvermögen, Flexibilität, Kontaktfähigkeit, Lernbereitschaft, Organisationsfähigkeit, pädagogische Fähigkeit und sprachliche Ausdrucksfähigkeit (Bundesagentur für Arbeit 2006, S. 9). Es geht also offenbar gar nicht um das, was man an Sprachwissenschaft lernt – sondern darum, was man durch sie lernt.

Meine Dozent*innen hatten also Recht und Unrecht zugleich. Denn Ausbildung ist nur die halbe Miete: Wer nur Sprachwissenschaft macht, verliert sich schnell in wissenschaftlichen Einzelfragen. Wer aber die Fähigkeiten und Kompetenzen aus dem Studium kombinieren kann, eignet sich ein unerwartet spezialisiertes Superspezialprofil an: Wer Trainer*in im Kampfsportverein ist, hat mit sprachwissenschaftlicher Ausbildung die perfekte Kombination, um Behauptungstrainings in Firmen anzubieten. Und wer nebenbei Gender Studies studiert hat, könnte sich für den Arbeitsmarkt außerhalb der Universität ein einzigartiges Profil kreieren und sich Linguistic Inclusion Expert nennen (oder so ähnlich), und Beratung für Firmen und öffentliche Institutionen anbieten, die ihre kommunikativen Strategien an die Anforderungen des 21. Jahrhunderts anpassen wollen. Denn Firmen geben längst nicht mehr nur Geld für unmittelbare Gewinnversprechen aus. Corporate Social Responsibility wird seit längerem zu einem immer wichtiger wiegenden kulturellen und wirtschaftlichen Faktor (Porter und Kramer 2006). Dazu gehört auch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch Gleichstellung, Kommunikationstrainings, Mediation etc.

Ob in dieser Branche oder woanders: Will man auf dem freien Arbeitsmarkt Dienstleistungen anbieten, lohnt es sich, im Studium Generale Kurse wie Enterpreneurship zu besuchen, auch wenn man sich nicht gleich selbstständig machen will. Kreativität und Kombinationsvermögen sind hier die Schlüssel.

Mein Spleen für Kryptowährungen zum Beispiel hat mich in die Geschäftsführung eines IT-Start-Ups geführt, wo ich als Verantwortlicher für Kunden- und Projektakquise beschäftigt war. Leute von toller Technologie zu überzeugen habe ich zwar nicht gelernt, aber Referate über Anredeformen im amerikanischen Spanisch und Gespräche über verteilte Systeme sind in meinem Kopf fast dasselbe.

Die Berufswelt im Jahre 2019 kennt die wunderlichsten Nischen, die nur darauf warten besetzt zu werden. Nutzt eure Kommunikationsfertigkeiten und euer Netzwerk! Die meisten tollen Stellen bekommt man, weil man jemanden kennenlernt, der ein Projekt beginnt und genau jemanden wie dich sucht. Also, Augen auf!

Referenzen

Bundesagentur für Arbeit (2006): Tätigkeitsbeschreibung von Sprachwissenschaftler/Sprachwissenschaflerin (Uni). Online verfügbar unter https://berufenet.arbeitsagentur.de/berufenet/archiv/13924.pdf, zuletzt aktualisiert am 23.02.2006, zuletzt geprüft am 31.08.2019.

Konsortium Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (2017): Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2017. Statistische Daten und Forschungsbefunde zu Promovierenden und Promovierten in Deutschland. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag. Online verfügbar unter http://www.oapen.org/search?identifier=640942.

Krempkow, René (2017): Wie gut sind die Chancen auf eine Professur? In: Spektrum. Online verfügbar unter https://www.spektrum.de/kolumne/wie-gut-sind-die-chancen-auf-eine-professur/1443667, zuletzt geprüft am 31.08.2019.

Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2016): Informationsbroschüre. Seiteneinstieg in den Schuldienst mit berufsbegleitendem Vorbereitungsdienst für Universitätsabsolventinnen und -absolventen. Online verfügbar unter https://www.schulministerium.nrw.de/docs/bp/Lehrer/Lehrkraft-werden/Seiteneinstieg/2-OBAS/Infobroschuere-Seiteneinstieg-April-2016-Aktualisierung-Maerz-2018.pdf, zuletzt aktualisiert am 14.04.2016, zuletzt geprüft am 31.08.2019.

myStipendium.de (2019): Sprachwissenschaft Studium. Inhalte, Studiengänge, Berufe. Online verfügbar unter https://www.mystipendium.de/studium/sprachwissenschaft, zuletzt geprüft am 31.08.2019.

Porter, Michael E; Kramer, Mark R (2006): Strategy and Society. The Link Between Competitive Advantage and Corporate Social Responsibility. In: Harvard Business Review, S. 76–93. Online verfügbar unter https://www.comfama.com/contenidos/servicios/Gerenciasocial/html/Cursos/Columbia/Lecturas/Strategy-Society.pdf, zuletzt geprüft am 31.07.2019.

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